BERUFSUNFÄHIGKEITSVERSICHERUNG

für die Leistungs- und Antragsprüfung


Kenntnis des Versicherers (von den verschwiegenen Umständen), Nachfrageobliegenheit

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Nachfrageobliegenheit 

BGH, Urt. v. 12.3.2014 – IV ZR 306/13, NJW 2014, 1452 = jurisPR-VersR 4/2014 Anm. 1 Neuhaus = VersR 2014, 565 = zfs 2014, 277 = MDR 2014, 531 (PKV)

1. Bejaht der Antragsteller in einem Versicherungsantrag mit Gesundheitsfragen eine Frage nach Krankheiten und Beschwerden in den letzten drei Jahren mit „ja“, füllt aber ein dafür vorgesehenes Feld mit näheren Angaben nicht aus, sondern benennt lediglich namentlich einen Arzt mit der Angabe, sich dort einige Monate vor Antragstellung wegen „Allgemeine Untersuchung /ohne Befund“ in Behandlung befunden zu haben, und wird daneben eine weitere Frage nach psychotherapeutischen Behandlungen überhaupt nicht beantwortet, führt dies zu einer Nachfrageobliegenheit des Versicherers (hier: Krankenversicherer).

2. Der Versicherer kommt der Nachfrageobliegenheit nach, wenn er den mit dem Antragsvorgang vom Versicherungsnehmer betrauten Versicherungsmakler um Beantwortung der noch offenen Fragen bittet. Der Versicherungsnehmer muss nicht unmittelbar kontaktiert werden.

3. Erhält der Versicherer auf eine Nachfrage wegen unklar beantworteter Gesundheitsfragen ein weiteres modifiziertes Antragsformular, in dem die Fragen nach Krankheiten und Beschwerden sowie psychotherapeutischen Behandlungen jeweils verneint sind, ist die Unklarheit beseitigt.


Nachfrageobliegenheit des Versicherers - Nicht bei Arglist!

BGH, Beschl. v. 21.3.2012 - IV ZR 264/10, Rn. 10

Auch bei einer Verletzung der Risikoprüfungsobliegenheit darf sich der Versicherer auf sein Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung berufen, weil der VN, der sich den Vertrag arglistig erschlichen hat, nicht schutzwürdig ist.



Nachfrageobliegenheit des Versicherers

BGH, Urt. v. 11.5.2011 – IV ZR 148/09, r+s 2011,304/324 = VersR 2011, 909

  • Eine Nachfrageobliegenheit des Versicherers besteht nur dann, wenn sich eine falsche oder unvollständige Beantwortung der Antragsfragen aufdrängt, d.h. wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür bestehen.
  • Gibt die VNin im Antrag auf Abschluss einer BUZ auf die Antragsfrage „Bestehen oder bestanden in den letzten 5 Jahren Krankheiten, Unfallfolgen oder körperliche Schäden … der Haut (auch Allergie)?“ an, dass sie an „Neurodermitis seit Geburt“ leide, nennt die Medikamente „Loragamma“ und „Dermatop“, die sei „bei Bedarf max. 2x/Woche 1 Tablette“ einnehme und benennt einen behandelnden Arzt, löst dies keine Nachfrageobliegenheit aus. Der Versicherer braucht nicht anzunehmen, dass die VN auch wegen weiterer Krankheiten von anderen Ärzten behandelt wurde und zwar selbst dann nicht, wenn diese  mit der Neurodermitis zusammenhingen (hier: im Antrag nicht genanntes Asthma bronchiale mit Behandlung über ca. 4 Jahre und Medikamente „Zyrtec“ und „Terfenadin“).
  • Der Versicherer verliert das Recht zur Arglistanfechtung nicht deshalb, weil er seine Nachfrageobliegenheit verletzt hat.


BGH konkretisiert Rechtsprechung zur Nachfrageobliegenheit

BGH, Urt. v. 05.03.2008 – IV ZR 119/06, r+s 2008, 249 = VersR 2008, 668

Erwähnt der Versicherungsnehmer bei Beantragung einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gegenüber dem Versicherungsvertreter hinsichtlich der Gesundheitsfragen in dem Antrag berufsbedingte Rückenschmerzen und eine mehrwöchige Krankschreibung infolge eines Unfalls, so führt dies zu einer Nachfrageobliegenheit.

Offenbart der Versicherungsnehmer dem Versicherungsvertreter, dass der Unfall für ihn Anlass gewesen sei, den Abschluss einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ins Auge zu fassen, liegt für den Versicherer die Annahme nicht fern, dass der Versicherungsnehmer möglicherweise gerade in der Sorge an ihn herantritt, bereits ernsthafte Schäden erlitten zu haben. Der Versicherer muss deshalb die Folgen des Unfalls weiter hinterfragen.



Arglist des VN und Verletzung der Nachfrageobliegenheit des Versicherers

BGH, Beschl. v. 4.7.2007 - IV ZR 170/04, r+s 2008, 234

Einem VN, der den Versicherer bei der Anzeige gefahrerheblicher Umstände arglistig täuscht, ist es verwehrt, sich auf eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit des Versicherers zu berufen. Trotz Verletzung seiner Nachfrageobliegenheit verbleibt dem Versicherer damit das Recht, bei arglistiger Falschbeantwortung von Antragsfragen durch den VN vom Vertrag zurückzutreten oder den Vertrag anzufechten.


Aufgabe der Rspr., dass bei Verletzung der Nachfrageobliegenheit keine Anfechtung möglich ist

BGH, Beschl. v. 15.03.2006 – IV ZA 26/05, VersR 2007, 96 (Revisionsentscheidung zu OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.10.2005 - 5 U 31/05-4, r+s 2006, 207 u. r+s 2007, 113 = VersR 2007, 93)

Einem VN, der den Versicherer bei der Anzeige gefahrerheblicher Umstände arglistig täuscht, ist es verwehrt, sich auf eine Verletzung der Nachfrageobliegenheit des Versicherers zu berufen. Trotz Verletzung seiner Nachfrageobliegenheit verbleibt dem Versicherer damit das Recht, bei arglistiger Falschbeantwortung von Antragsfragen durch den VN vom Vertrag zurückzutreten oder den Vertrag anzufechten.

Die Begründung des Beschlusses lautet:
„Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das angefochtene Urteil weicht von der inzwischen geänderten Senatsrechtsprechung nicht mehr ab, wie sich aus den Senatsurteilen vom 7. März 2001 (IV ZR 254/00 - VersR 2001, 620 unter 2 b bb) und vom 10. Oktober 2001 (IV ZR 6/01 - VersR 2001, 1541 unter II 2) ergibt. An BGHZ 117, 385, 387 f. hat der Senat insoweit nicht mehr festgehalten (zu diesem Verständnis vgl. auch OLG Düsseldorf r+s 2003, 252 f.; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 22 Rdn. 8 a.E.; Müller-Frank, NVersZ 2001, 447, 448).“



Nachfrageobliegenheit, Angabe des Hausarztes

BGH, Urt. v. 7.3.2001 - IV ZR 254/00, r+s 2001, 261 = NVersZ 2001, 306 = ZfS 2001, 373 = NJW-RR 2001, 889 = MDR 2001, 809

Bezeichnet sich der Antragsteller unter Angabe seines Hausarztes als völlig gesund, so löst allein der Hinweis auf den Hausarzt noch keinen Nachfragebedarf des Versicherers aus.


Vorvertragliche Anzeigepflicht - Kenntnis des Versicherers von der Pflichtverletzung

BGH, Urt. v. 30.9.1998 - IV ZR 248/97, r+s 2000, 1 = r+s 1999, 85 = NJW-RR 1999, 173 = VersR 1999, 217 zur LV/BUZ

a) Ausreichende Kenntnis des Versicherers über ein Rücktrittsgrund liegt erst vor, wenn er die unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage kennt.

b) Hat der Versicherer nach solchen Leiden, Erkrankungen oder Unfällen gefragt, die zu einer ärztlichen Beratung, Untersuchung oder Behandlung führen, so genügt nicht die bloße Kenntnis von Schmerzen oder Gesundheitsbeeinträchtigungen des VersNehmers.

c) Die Kenntnis des Versicherers über eine ärztliche Untersuchung, in der eine belanglose, bald vorübergehende Gesundheitsbeeinträchtigung festgestellt wurde, genügt nicht, da es an einer Verletzung der Auskunftsobliegenheit mangels Vorliegen eines gefahrerheblichen Umstandes fehlt.

d) Teilt der Hausarzt ohne nähere zeitliche Einordnung mit, daß er den VersNehmer seit Übernahme der Praxis behandelt und hat der VersNehmer im gleichen Jahr auch den Antrag auf Abschluss der Versicherung gestellt, so gibt diese Auskunft keine sichere Kenntnis darüber, ob die Behandlung vor oder nach Antragstellung erfolgt ist.




Umfang und Bedeutung der Risikoprüfungsobliegenheit des Versicherers

BGH, Urt. v. vom 2.11.1994 - IV ZR 201/93, r+s 1995, 82 = VersR 1995, 80

* 1. Der Versicherer ist dem künftigen VN nicht zur Vornahme einer Risikoprüfung verpflichtet. Es handelt sich um eine Obliegenheit, die eigenen Interessen wahrzunehmen. *

* 2. Das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung, die nur bei Schließung des Vertrags vorgenommen werden kann, nimmt dem Versicherer die Rücktrittsberechtigung. *

* 3. Ohne Aufklärung der Ursachen von Rückenschmerzen läßt sich in einer Berufsunfähigkeitsversicherung im allgemeinen eine ordnungsgemäße Risikoprüfung nicht durchführen. *




Voraussetzungen der Anfechtung und des Rücktritts bei unterlassener Risikoprüfung

BGH, Urt. v. 25.03.1992 - IV ZR 55/91, BGHZ 117, 385 = NJW 1992, 1506 = VersR 1992, 603

Führen die Antworten dem VR vor Augen, daß der Antragsteller hiermit seiner Anzeigeobliegenheit (verschuldet oder unverschuldet) noch nicht genügt hat und sie ihm ohne ergänzende Rückfragen eine sachgerechte Risikoprüfung (noch) nicht erlauben, so darf er vor dieser Situation seine Augen nicht verschließen. Andernfalls wird er als der durch Sachwissen und Geschäftserfahrung überlegene Partner seiner Stellung nicht gerecht. Daran kann sich auch nichts ändern, wenn er Anlaß zu der Annahme hat, der Antragsteller versuche, ihn arglistig zu täuschen. Auch in diesen Fällen bleibt der Versicherer zu einem korrekten Vorgehen, nämlich einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung vor Vertragsschluß, gehalten, wie es die Regelung in den §§ 16 ff. VVG voraussetzt. Unterläßt er diese Risikoprüfung, die ihm die bisherigen Antworten eben noch nicht ermöglichen, und stellt sich später heraus, daß er durch die gebotenen Rückfragen auch diejenigen Tatsachen vor dem Vertragsschluß erfahren hätte, aus denen er später ein Anfechtungs- oder Rücktrittsrecht herleiten will, so bleibt es ihm aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens verwehrt, diese Rechte noch geltend zu machen. Die dem Versicherer durch die gesetzlichen Anzeigenobliegenheiten des Antragstellers eingeräumte Risikoprüfungsmöglichkeit vor Vertragsschluß kann von dem Versicherer nicht nach Belieben zurückgestellt und auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls verschoben werden. Das läuft ihrem Sinn und Zweck zuwider: Sie soll klare Verhältnisse vor Vertragsschluß schaffen.




Beginn der Rücktrittsfrist (§ 20 VVG a. F.) bei unterlassenen Rückfragen

BGH, Entscheidung vom 28.11.1990 (IV ZR 219/89), VersR 1991, 170

Führt der dem Versicherer zuzurechnende Kenntnisstand eines Agenten dem Versicherer vor Augen, daß eine unveränderte Vertragsannahme nach seinen Risikoprüfungsgrundsätzen fraglich werden könnte, so kann er den Fristbeginn für einen Rücktritt gem. § 20 VVG nicht dadurch beeinflussen, daß er zunächst Rückfragen unterläßt, die ihm zur Vervollständigung und Abrundung des bereits gegebenen Kenntnisstandes geboten erscheinen mußten (i. A. an BGHZ 108, 326 = VersR 1989, 1249).



Kenntnis des Versicherers bei zentraler Datenspeicherung für verschiedene Versicherungszweige eines Konzerns

BGH, Urt. v. 13.12.1989 – IVa ZR 177/88, VersR 1990, 258 = NJW-RR 1990, 285 = zfs 1990, 158 zur BUZ

Für selbständige Versicherungsunternehmen in einem Konzernverbund kann die elektronische Datenspeicherung die Kenntnis nur begründen, wenn sie nicht nur zentral erfolgt, sondern wenn der eine Versicherer bei dem anderen Versicherer gespeicherte Daten auch routinemäßig abfragt.



Unterlassene Rückfragen 

BGH, Entscheidung vom 20.09.1989 (IV a ZR 107/88, Koblenz), VersR 1989, 1249 

Sofern das einem Versicherer bereits vorliegende Tatsachenmaterial vor Augen führt, daß ein Rücktritt oder eine Kündigung wegen Obliegenheitsverletzung des VN ernstlich in Betracht kommt, kann der Versicherer die Wahrung der einmonatigen Rücktritts oder Kündigungsfrist gem. den §§ 6 und 20 VVG nicht dadurch beeinflussen, daß er die zur Vervollständigung seiner Kenntnisse für geboten erachteten Rückfragen zunächst unterläßt.