Konkrete und abstrakte Verweisung
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Einkommensvergleich bei konkreter Verweisung im Nachprüfungsverfahren: Ist ein Hochrechnen des früheren Einkommens erforderlich?
BGH, Urt. v. 26.6.2019 - IV ZR 19/18, r+s 2019, 472 = VersR 2019, 1001 = BeckRS 2019, 14293
- Bei dem für die Verweisbarkeit des Versicherten auf eine andere berufliche Tätigkeit gebotenen Einkommensvergleich ist das vor Geltendmachung der Berufsunfähigkeit tatsächlich erzielte Einkommen grundsätzlich nicht auf den Vergleichszeitpunkt fortzuschreiben.
- Die Lohn- und Gehaltsentwicklung im Ursprungsberuf nach Eintritt des Versicherungsfalles hat bei einem Einkommensvergleich im Nachprüfungsverfahren grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, weil es entscheidend auf die Sicherstellung der individuellen bisherigen Lebensumstände ankommt und die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht die künftige Verbesserung dieser Lebensumstände sichert.
- Bei schwankenden Einkommen im Ausgangsberuf – etwa durch zeitweise Arbeitslosigkeit oder kurzzeitigen Berufswechsel – darf kein fiktives Einkommen auf Basis der Haupttätigkeit als Ausgangspunkt für eine Vergleichsbetrachtung errechnet werden, weil es für die die Lebensstellung entscheidend ist, was tatsächlich regelmäßig monatlich an Einnahmen zur Verfügung stand und ein fiktives Einkommen die Lebensstellung nicht prägen kann.
- Die Klausel: „Die Verweisung auf eine andere Tätigkeit ist ausgeschlossen, wenn das jährliche Einkommen 20% oder mehr unter dem Einkommen im zuletzt ausgeübten Beruf liegt; sollte die herrschende Rechtsprechung künftig nur geringere Einkommensreduzierungen für zumutbar erachten, so ziehen wir diese heran“ enthält keine Regelung, nach der die Verweisung auf eine Tätigkeit, in der das jährliche Einkommen weniger als 20 % unter dem Einkommen im zuletzt ausgeübten Beruf liegt, stets wirksam wäre. Sie ist so auszulegen, dass bei geringeren Einkommenseinbußen eine Verweisung nicht ausgeschlossen ist. Ob die Verweisung darüber hinaus auch wirksam ist, bestimmt die Klausel dagegen nicht.
Keine konkrete Verweisung bei besser entlohnter, aber "unterwertiger" Beschäftigung
BGH, Urt. v. 20.12.2017 - IV ZR 11/16, jurisPR-VersR 2/2018 Anm. 1 Neuhaus = VersR 2018, 152 = NJW-RR 2018, 160
- Für eine wirksame Verweisung darf die für den Ursprungsberuf erforderliche Qualifikation durch diejenige für die neue Tätigkeit nicht deutlich unterschritten werden.
- Der Versicherte darf in dem von ihm ausgeübten Verweisungsberuf nicht "unterwertig", also seine frühere Qualifikation und seinen beruflichen oder sozialen Status unterschreitend, beschäftigt sein. Für die Frage, wann eine „unterwertige“ Tätigkeit vorliegt, kommt es auf den Einzelfall an.
- Eine „Unterwertigkeit“ kann nicht durch ein höheres Einkommen im neuen Beruf kompensiert werden.
Konkrete Verweisung, leidensbedingter Berufswechsel und Wiederaufleben der Leistungspflicht bei Ende der Verweisungstätigkeit
BGH, Urt. v. 14.12.2016 - IV ZR 527/15, r+s 2017, 320 = zfs 2017,164 = jurisPR-VersR 2/2017 Anm. 3 Neuhaus = VersR 2017, 216 = MDR 2017, 151 = BeckRS 2016, 109928
- Hat der Versicherte ausschließlich leidensbedingt den Beruf gewechselt und ändert dann nochmals die berufliche Tätigkeit, auf die der Versicherer ihn verweisen will, bleibt die Tätigkeit in gesunden Tagen der Maßstab für die Prüfung der Berufsunfähigkeit und nicht etwa die zuerst leidensbedingt geänderte Tätigkeit. Eine zeitliche Grenze, ab der leidensbedingt gewechselte Beruf zum Maßstab der Prüfung werden könnte, existiert nicht.
- Eine wirksame Nachprüfungsmitteilung beendet die Leistungspflicht im konkreten Versicherungsfall und die Bindung an das abgegebene Anerkenntnis. Damit ist der gedehnte Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit beendet.
- Aus der Beseitigung der Selbstbindung des Versicherers im Wege des Nachprüfungsverfahrens folgt, dass die frühere Leistungspflicht des Versicherers mit der Beendigung einer konkreten Verweisungstätigkeit nicht wieder auflebt. Der Versicherte muss vielmehr - will er wiederum Leistungen erhalten - einen neuen Leistungsantrag stellen. Steht aber fest, dass der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen unverändert außerstande ist, der in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit nachzugehen, begründet eine Beendigung der Vergleichstätigkeit ausnahmsweise erneut eine Leistungspflicht des Versicherers. Es ist nicht erforderlich, dass die Vergleichstätigkeit aus medizinischen Gründen endet.
- Eine neu ausgeübte Tätigkeit als ärztlicher Praxisvertreter in einer Gemeinschaftspraxis hat nicht die gleiche soziale Wertschätzung wie der Beruf eines niedergelassenen Facharztes mit eigener Praxis.
Hinweis:
Der VN hatte zunächst als niedergelassener HNO-Facharzt mit eigener Praxis gearbeitet, dann wegen Arthrose im Schultergelenk OP’s und kleine Eingriffe an eine neu eingestellte Mitarbeiterin delegiert. Dann erkannte der VR an. Danach wurde die Praxis in ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) integriert, zu dessen Leiter der VN wurde. Der VR stellte die Leistungen im Nachprüfungsverfahren mit konkreter Verweisung ein. Während des Rechtsstreits wurde die Tätigkeit im MVZ unstreitig aufgrund einer Aufhebungsvereinbarung beendet und der VN arbeitete gegen ein monatliches Honorar als Praxisvertreter in einer Gemeinschaftspraxis.
Keine Berücksichtigung von Arbeitserleichterungen und mehr Freizeit im Nachprüfungsverfahren
BGH, Urt. v. 7.12.2016 - IV ZR 434/15, r+s 2017, 87 = zfs 2017, 103 = NJW 2017, 731 = BeckRS 2016, 21187
- Im Nachprüfungsverfahren können bei der Prüfung, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, ein höherer Freizeitanteil und Arbeitserleichterungen nicht berücksichtigt werden.
- Der Vorteil größerer Freizeit ist angesichts des Zwecks der Berufsunfähigkeitsversicherung, den Unterhalt des Versicherten und gegebenenfalls seiner Familie auch in Zeiten der Krankheit sicherzustellen, nicht zu berücksichtigen, da von der zusätzlich gewonnenen Freizeit der Unterhalt nicht bestritten werden kann.
- Bei der konkreten Verweisung kommt es für den Einkommensvergleich nicht auf die erzielbaren, sondern auf die tatsächlich erzielten Einkünfte auch dann an, wenn die Einkommensminderung ausschließlich auf einer Minderung der Stundenzahl beruht. Ist dem Versicherer nur eine konkrete Verweisung möglich, kann er dem Versicherten auch dann kein fiktives Einkommen anrechnen, wenn dieser nur eine Teilzeitarbeit ausübt.
Hinweis:
Die Feststellungen des BGH gelten nicht nur für das Nachprüfungsverfahren, sondern auch für die Verweisung in der Erstprüfung. Die Entscheidung des BGH vom 7.12.2016 arbeitet nicht klar heraus, ob der BGH die Verrechnung generell für unzulässig hält oder jedenfalls in dem konkreten Fall bei dem (zu) niedrigen Einkommen.
Verweisbarkeit eines vormals Selbstständigen auf abhängige Tätigkeit, bestrittene Aufstiegschancen
BGH, Beschl. v. 23.11.2016 - IV ZR 502/15, r+s 2017, 202 = zfs 2017, 105 = NJW-RR 2017, 225 = BeckRS 2016, 21382
In der Berufsunfähigkeitsversicherung schließt der Wechsel von einer krankheitsbedingt nicht mehr ausübbaren selbstständigen Tätigkeit in eine angestellte Tätigkeit die bedingungsgemäß eröffnete Verweisbarkeit auf diese Tätigkeit nicht aus. Es bedarf stets einer auf den Einzelfall bezogenen Wertung, ob mit der neuen Tätigkeit ein spürbarer sozialer Abstieg verbunden ist. Nicht der einzige, aber ein nicht zu vernachlässigender Bewertungsfaktor ist hierbei die Verdienstmöglichkeit.
Bestreitet der Versicherer die Behauptung des Versicherungsnehmers, er habe in seinem früheren Beruf größere Aufstiegschancen als bei seiner jetzigen Tätigkeit gehabt, muss das Gericht Feststellungen dazu treffen, wie sich die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellten, um die Berufe vergleichen zu können.
Hinweis:
Der VN war ursprünglich selbstständiger Auslieferungsfahrer für Tiefkühlkost und arbeitete dann als angestellter Vertriebssachbearbeiter im Innendienst. Der BGH hat zur weiteren Sachaufklärung zurück verwiesen.
Einkommen und Arbeitslosengeld; Brutto oder Netto?
BGH, Urt. v. 08.02.2012 - IV ZR 287/10, , r+s 2012, 193 = VersR 2012, 427
- Bei dem für die Verweisbarkeit des Versicherungsnehmers auf seine neue berufliche Tätigkeit gebotenen Einkommensvergleich kann auch der Erhalt von Arbeitslosengeld I zu berücksichtigen sein.
- Der Begriff des Einkommens ist insoweit „offen“. Das sogenannte Arbeitslosengeld I ist anders als das Arbeitslosengeld II kein Transfereinkommen, sondern eine Versicherungsleistung, die abhängig von den konkreten Umständen nach dem Sinn und Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung (Verhinderung des sozialen Abstiegs) bei der Berechnung des Einkommens mit zu berücksichtigen ist.
- Welche Vergleichsmethode dem Maßstab der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse am besten gerecht wird (Netto- oder Bruttovergleich), entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Verweisung auf Beruf, der kein Ausbildungsberuf ist
BGH, Urt. v. 21.4.2010 - IV ZR 8/08, r+s 2010, 294 = VersR 2010, 1023 = NJW-RR 2010, 906
Die Verweisung auf einen Beruf ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil dieser kein Ausbildungsberuf ist.
Nischenarbeitsplatz, Überprüfung durch Sachverständigen - Kenntnis der Arbeitsbedingungen
BGH, Urt. v. 23.1.2008 - IV ZR 10/07 (OLG Celle), r+s 2008, 429 = VersR 2008, 470 = zfs 2008, 284 = MDR 2008, 448
Für die dem VN angesonnene Tätigkeit muss es einen Arbeitsmarkt überhaupt und nicht nur in unbedeutendem Umfang geben, ein Arbeitsmarkt also überhaupt existieren (SenatsUrt. v. 23. 6. 1999 - IV r+s 1999, 477 unter 3b). Danach scheiden Verweisungen auf Tätigkeiten, die nur in Einzelfällen nach den besonderen Anforderungen eines bestimmten Betriebes geschaffen oder auf die speziellen Bedürfnisse eines einzelnen Arbeitnehmers zugeschnitten sind (Nischenarbeitsplätze), grundsätzlich ebenso aus wie Verweisungen auf Tätigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt nur in so geringer Zahl bereit stehen, dass von einem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr die Rede sein kann (Senatsurteil aaO).
Der vom Tatrichter beauftragte medizinische Sachverständige, der sich dazu äußern soll, ob der VN gesundheitlich in der Lage ist, einen Verweisungsberuf auszuüben, muss wissen, welchen für ihn unverrückbaren außermedizinischen Sachverhalt er zugrunde zu legen hat, also insbesondere welche Merkmale - Arbeitsbedingungen wie Arbeitsplatzverhältnisse und Arbeitszeiten, erforderliche Tätigkeiten und körperliche Kräfte, Einsatz von Hilfsmitteln - die Verweisungstätigkeit prägen.
Verweisung auf Vergleichsberuf und Abhandenkommen der Fähigkeiten
BGH, Urt. v. 07.02.2007 - IV ZR 232/03, r+s 2007, 206 = VersR 2007, 631 = VK 2007, 139 = MDR 2007, 719 = BeckRS 2007, 04534
Bei einem Versicherten, der im Zeitpunkt der behaupteten Berufsunfähigkeit zur Ausübung der bisherigen Tätigkeit nicht in der Lage, aber auf einen Vergleichsberuf verweisbar ist, tritt bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht allein dadurch ein, dass ihm bei unverändertem Gesundheitszustand die zur Ausübung des Vergleichsberufs erforderlichen Fähigkeiten abhanden kommen oder diese hinter der Entwicklung zurückbleiben. Ob er den Vergleichsberuf ausgeübt hat, ist unerheblich.
Darlegungs- und Beweislast bei Verweisung auf einen Vergleichsberuf
BGH, Urt. v. 12.1.2000 - IV ZR 85/99, r+s 2000, 170 = NVersZ 2000, 221 = VersR 2000, 349 = NJW-RR 2000, 691
Dem Versicherer obliegt es, den von ihm beanspruchten Vergleichsberuf näher zu konkretisieren. Erst nach Konkretisierung durch den Versicherer obliegt dem VN der Negativbeweis, dass kein Vergleichsberuf vorhanden ist.
Darlegungs- und Beweislast bei Verweisung auf einen Vergleichsberuf, wenn der VN die als Vergleichsberuf beanspruchte Tätigkeit bereits ausübt
BGH, Urt. v. 12.1.2000 - IV ZR 85/99, r+s 2000, 170 = NVersZ 2000, 221 = VersR 2000, 349 = NJW-RR 2000, 691
Der Umfang der Darlegungslast des Versicherers zu den prägenden Merkmalen des Vergleichsberufs (hier: Verweisung eines Obermonteurs im Sprinklermontagenbereich auf den Beruf des Videothekars) hängt nicht zuletzt davon ab, was der Versicherer beim VN insoweit an Kenntnissen voraussetzen darf. Übt der VN eine vom Versicherer als Vergleichsberuf in Anspruch genommene Tätigkeit schon tatsächlich aus, hat er - und nicht sein Versicherer - Kenntnis davon, welche Anforderungen diese im Einzelnen an ihn stellt. In einem solchen Fall genügt es daher nicht, wenn der VN die Vergleichbarkeit der anderen Tätigkeit nur summarisch bestreitet, vielmehr obliegt es ihm von Anfang an vorzutragen - und erforderlichenfalls zu beweisen -, dass und warum er diese Tätigkeit nicht ausüben kann oder warum sie sonst den bedingungsgemäßen Anforderungen an eine Vergleichstätigkeit nicht genügt (Senat vom 30. 11. 1994 - IV ZR 300/93 - VersR 1995, 159 unter 3).
Verweisungen auf Nischenarbeitsplätze, Verteilung der Darlegungslast zu einem vom Versicherten (kurz zuvor) ausgeübten Vergleichsberuf
BGH, Urt. v. 23.6.1999 - IV ZR 211/98, r+s 1999, 477 = VersR 1999, 1134 = NVersZ 1999, 515 = NJW-RR 1999, 1471
Bei der Feststellung, ob Berufsunfähigkeit vorliegt, muß die Lage auf dem Arbeitsmarkt unberücksichtigt bleiben. Das setzt aber voraus, daß für die fragliche Tätigkeit ein Arbeitsmarkt existiert, und es scheiden Tätigkeiten aus, die in Einzelfällen nach den besonderen Anforderungen eines Betriebs geschaffen oder auf bestimmte Bedürfnisse eines Mitarbeiters zugeschnitten worden sind, aber in so geringer Zahl bereitstehen, daß von einem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr die Rede sein kann.
Die Darlegungslast des Versicherers für die prägenden Merkmale eines Vergleichsberufs besteht ausnahmsweise nicht, wenn es sich um die Verweisung auf eine Tätigkeit handelt, die der Versicherte noch ausübt oder gerade gekündigt hat.
Kein Vergleichsberuf bei Minderung des Jahreseinkommens von 70 000 DM um 1/3
BGH, Urt. v. 17.6.1998 - ZR 215/97, VersR 1998, 1537 = NJW-RR 1998, 1396
Bei einer Minderung eines bisherigen Jahresbruttoeinkommens von nicht ganz 70000 DM um fast ein Drittel ist die bisherige Lebensstellung des Versicherten im wirtschaftlichen Bereich nicht mehr gewahrt.
Zumutbarer Einkommensverlust in verwiesenem Vergleichsberuf
BGH, Entscheidung vom 22.10.1997 - IV ZR 259/96, VersR 1998, 42 = NJW-RR 1998, 239
Jedenfalls bei hohem Einkommen ist es nicht schlechthin ausgeschlossen, daß eine Verminderung des Einkommens um 23 % einer Verweisbarkeit noch nicht entgegensteht, wenn ein Versicherer die Berufsunfähigkeitsdefinition der Musterbedingungen von 1975 (VerBAV 75, 2) verwendet.
Keine Verweisung eines Organisationsprogrammierers
BGH, Urt. v. 15.1.1997 - IV ZR 323/95, r+s 1997, 260
Wer in erster Linie eine von Kreativität geprägte Tätigkeit im EDV-Bereich sowie eine stellvertretende Leitungsbefugnis ausübt, der kann nicht auf eine weitgehend vorgegebene Schreibtischtätigkeit verwiesen werden.
Anforderungen an die eine Verweisung begründenden Umstände
BGH, Urt. v. 11.12.1996 - IV ZR 238/95, r+s 1997, 301 = NJW-RR 1997,. 529 = ZfS 1997, 266 = VersR 1997, 436
Sollen "neu erworbene" berufliche Fähigkeiten den Wegfall der Leistungspflicht des Versicherers begründen, weil der Versicherte durch sie in den Stand gesetzt wird, eine andere Tätigkeit auszuüben, die seiner Lebensstellung entspricht, so müssen sie erworben sein, nicht erst erworben werden können. Das gilt gleichermaßen für die weitere Voraussetzung einer Verweisung auf eine andere Tätigkeit, daß diese Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung entspricht.
Vortragslast des VN bei Ablehnung ausgeübter Tätigkeit als Vergleichsberuf
BGH, Urt. v. 30.11.1994 IV ZR 300/93, r+s 1995, 115 = VersR 1995, 159
1. *Will der Versicherte eine tatsächlich von ihm ausgeübte Tätigkeit nicht als Vergleichsberuf i.S.v. § 2 (1) der Musterbedingungen der Berufsunfähigkeits-Zusatzvers. von 1975 (VerBAV 1975, 2) gelten lassen, so obliegt es ihm von Anfang an vorzutragen - und erforderlichenfalls zu beweisen -, daß und warum er dieser Tätigkeit nicht aufgrund seiner bei der Tätigkeitsaufnahme vorhandenen Kenntnissen und Erfahrungen gewachsen ist. Das gleiche gilt, wenn er geltend machen will, daß die Tätigkeit aus anderen nicht mit seinem zuvor ausgeübten Beruf vergleichbar sei. Für anfängliche Erleichterungen seiner Vortragslast besteht in derartigen Fällen kein Anlaß.*
2.a) Wechselt der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen den Beruf und verlangt er erst später Berufsunfähigkeitsrente, so ist nach dem Stichtagsprinzip entscheidend, ob er bei Berufswechsel die Kenntnisse und Fähigkeiten für den zweiten Beruf gehabt hatte. Nicht berücksichtigungsfähig ist, was er erst nach dem Berufswechsel hinzugelernt hat.
2.b) Hat der Versicherte den Beruf nicht aus gesundheitlichen, sondern aus anderen Gründen gewechselt (z.B. wegen besserer Verdienstmöglichkeiten), so ist nach dem Stichtagsprinzip der zuletzt ausgeübte Beruf für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit maßgebend.
Ls. der VersR:
Will der Versicherte eine tatsächlich von ihm ausgeübte Tätigkeit nicht als Vergleichsberuf i. S. d. § 2 Nr. 1 MB-BUZ 75 (VerBAV 75, 2) gelten lassen, so obliegt es ihm von Anfang an vorzutragen - und erforderlichenfalls zu beweisen -, daß und warum er dieser Tätigkeit nicht aufgrund seiner bei der Tätigkeitsaufnahme vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen gewachsen war. Das gleiche gilt, wenn er geltend machen will, daß die Tätigkeit aus anderen Gründen nicht mit seinem zuvor ausgeübten Beruf vergleichbar sei. Für anfängliche Erleichterungen seiner Vortragslast besteht in derartigen Fällen kein Anlaß.
Umfang der Darlegungslast des Versicherers zum Vergleichsberuf
BGH, Urt. v. 28.9.1994 - IV ZR 226/93, r+s 1995, 78
Fehlt es für den ausgeübten Beruf des VN und den vom VR benannten Vergleichsberuf an einem einheitlichen Berufsbild, hat der VR die den Vergleichsberuf prägenden Merkmale (insbesondere erforderliche Vorbildung, übliche Arbeitsbedingungen, wie z.B. Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, ferner übliche Entlohnung, etwa erforderliche Fähigkeiten oder körperliche Kräfte, Einsatz technischer Hilfsmittel) darzulegen. Erst wenn der Versicherer dieser Darlegungslast nachgekommen ist, hat der VN den Negativbeweis (Nichtausübbarkeit eines Vergleichsberufes, Fehlen der Vergleichbarkeit) zu führen.
Anforderungen an die Verweisung auf Vergleichsberufe, Vortragslast des Versicherers
BGH, Entscheidung vom 29.06.94 - IV ZR 120/93, VersR 1994, 1095 = NJW-RR 1995, 21
Es gehört zur Vortragslast des Versicherers, Vergleichsberufe, auf die er den Versicherten abstrakt verweisen will, bezüglich der sie jeweils prägenden Merkmale (insbesondere erforderliche Vorbildung, übliche Arbeitsbedingungen, z. B. Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, ferner übliche Entlohnung, etwa erforderliche Fähigkeiten oder körperliche Kräfte, Einsatz technischer Hilfsmittel) näher zu konkretisieren. Nur dann kann der VN die Verweisung auf Vergleichsberufe und damit das Bestreiten von Berufsunfähigkeit mit substantiierten Beweisangeboten bekämpfen.
Anforderungen an die abstrakte Verweisung des VN auf einen Vergleichsberuf
BGH, Urt. v. 19.5.1993 - IV ZR 80/92, r+s 1993, 355 = VersR 1993, 953
Die substantiierte Darlegung möglicher Vergleichsberufe ist Sache des Versicherers (Senat vom 11.11.1987 - IV a ZR 240/86 = VersR 1988, 234 unter 1 c). Die dazu notwendigen, auf die persönlichen Umstände des Versicherten bezogenen Kenntnisse kann der Versicherer sich mittels der in § 4 Nr. 2 oder 4 Nr. 3 der MB-BUZ 75 dem VN aufgegebenen Obliegenheit verschaffen.
Änderung des Tätigkeitsbereichs eines Betriebsinhabers ist keine Verweisung i. S. d. § 2 BB-BUZ
BGH, Urt. v. 16.3.1994 - IV ZR 110/92, r+s 1994, 314 = VersR 1994, 587
Bei einer Verlagerung der Tätigkeit des mitarbeitenden Betriebsinhabers auf einen anderen, von ihm bisher nicht wahrgenommenen betrieblichen Tätigkeitsbereich handelt es sich nicht um eine Verweisung auf eine andere Tätigkeit i. S. d. § 2 Nr. 1 BB-BUZ. BGH, Urt. v. 12.6.1996 - IV ZR 118/95, r+s 1996, 418 = VersR 1996, 1090
Die Verweisung auf eine Tätigkeit als „Geschäftsführer und Betriebsleiter“ ist mangels eines fest umrissenen Berufsbildes unbeachtlich.
Verweisung und teilweise BU
BGH, Urt. v. 3.11.1993 - IV ZR 185/92, r+s 1994, 113 = VersR 1994, 205
Die Verweisungsklausel des § 2 BB-BUZ (VerBAV 75, 1) ist auch anzuwenden, wenn der VN nicht vollständig, sondern nur teilweise berufsunfähig ist.
Verweisungsvoraussetzungen, Bedeutung fehlender Gesellenprüfung für Verweisung auf andere Tätigkeit
BGH, Entscheidung vom 22.09.1993 - IV ZR 244/92, VersR 1993, 1472
Ein Vergleichsberuf ist für einen Versicherungsnehmer erst mit einer Tätigkeit gefunden, die ihn in seinen vorhandenen Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten, die bestimmend für seinen konkreten Beruf und damit auch maßgebend waren für die erzielte Entlohnung, nicht in einer ins Gewicht fallenden Weise unter- oder überfordert (vgl. dazu auch Senat vom 30.9.1992 - IV ZR 227/91 = VersR 1992, 1386 unter II).
Die Verweisung eines Versicherten, der zwar die Gesellenprüfung nicht abgelegt hat, jedoch jahrelang als Kfz-Mechaniker berufstätig war, auf Tätigkeiten, die nur ein Anlernen oder nicht einmal dieses erfordern, ist im Rahmen der Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung aus dem Jahr 1975 (VerBAV 75, 2) unzulässig.
Arbeitsmarktlage
BGH v. 7.7.1993 - IV ZR 47/92, VersR 1993, 1220 unter 2.
Die Arbeitsmarktlage ist schlechthin nicht berücksichtigungsfähig.
Unterforderung
BGH, Urt. v. 19.5.1993 - IV ZR 80/92, r+s 1993, 355 = VersR 1993, 953
Ein Beruf, der den Versicherten kenntnis- und erfahrungsmäßig unterfordert, ist kein Vergleichsberuf im Sinne der MB-BUZ (Senat vom 27.5.1992 - IV ZR 112/91 = VersR 1992, 1073 unter 2 c und d).
Umfang des Anerkenntnisses
BGH, Entscheidung vom 17.2.1993 (IV ZR 206/91), r+s 1994, 72 = VersR 1993, 562
Die Entscheidung des Versicherers über die Anerkennung der Berufsunfähigkeit gemäß § 2 (3) BUZ enthält stets auch seine Entscheidung über den Grad der Berufsunfähigkeit und die fehlende Verweisungsmöglichkeit. Schweigt der Versicherer zu diesen beiden Punkten, so ist sein Anerkenntnis so zu verstehen, daß er Berufsunfähigkeit bejaht und eine Verweisungsmöglichkeit verneint.
Feststellung einer anspruchsbegründenden Berufsunfähigkeit während der Vertragsdauer
BGH, Urt. v. 30.9.1992 - IV ZR 227/91, r+s 1992, 427 = VersR 1992, 1386
Die Feststellung, der Versicherte sei während der Vertragsdauer berufsunfähig geworden, setzt voraus, daß er die Fähigkeit verloren hat, sowohl seinem bis dahin konkret ausgeübten Beruf als auch einem Vergleichsberuf nachzugehen. Beide Möglichkeiten müssen ausgeschlossen sein. BGH, Urt. v. 27.1.1993 - IV ZR 309/91, r+s 1993, 198 = VersR 1993, 469
Zur Verweisung eines berufsunfähigen Zimmermanns auf einen vergleichbaren Beruf genügt nicht der allgemeine Hinweis des darlegungspflichtigen Versicherers auf mögliche Tätigkeiten im Bereich der Holzverarbeitung oder des Holzverkaufs.
Zur Berufsunfähigkeit bei Anlernberufen
BGH, Urt. v. 27.5.1992 - IV ZR 112/91, VersR 1992, 1073 = r+s 1992, 353 = NJW-RR 1992, 1052
Die Verweisung des gegen Berufsunfähigkeit versicherten VN, der in einem Anlernberuf tätig war, den er nicht mehr ausüben kann (hier: Gatterschneider), auf körperlich weniger schwere, reine Hilfsarbeitertätigkeiten (hier: Botentätigkeit oder Sortierarbeiten) kann ausgeschlossen sein, wenn der VN durch seine langjährige Berufstätigkeit über bloße Hilfsarbeiten hinausgehende Berufserfahrungen gesammelt hat, die ein qualifizierteres oder selbständigeres Arbeiten erlauben als das eines Handlangers.
Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten
BGH, Urt. v. 30.5.1990 - IV ZR 43/89, r+s 1990, 393 = VersR 1990, 885
Ls. der r+s:
1. Wird im Vergleichsberuf „Maschinenführer“ im Schichtbetrieb der gleiche Verdienst wie im bisherigen Beruf als Koch nur aufgrund von Nachtarbeit erzielt, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine solche Schichtarbeit durch eine allabendliche Tätigkeit als Koch ausgeglichen wird.
2. Besteht im Vergleichsberuf nicht die Aufstiegsmöglichkeit wie im bisherigen Beruf, so kann nicht zum Nachteil des Versicherten eine mangelnde Bereitschaft zur Umschulung berücksichtigt werden, denn eine Obliegenheit zur Ausnutzung möglicher Umschulungsangebote besteht nicht.
Ls. der VersR:
Bei der Wertschätzung eines Berufs sind Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten mit zu berücksichtigen.
Arbeitsmarktlage
BGH, Urt. v. 5.4.1989 - IV a ZR 35/88, r+s 1989, 200 = NJW-RR 1989, 854 = VersR 1989, 579 = MDR 1989, 802
Die Arbeitsmarktlage ist schlechthin nicht berücksichtigungsfähig.
Selbständige und Aufnahme einer Tätigkeit in abhängiger Stellung, Zumutbarkeit
BGH, Urt. v. 11.11.1987 - IV a ZR 240/86, r+s 1988, 118 = VersR 1988, 234 = BGHZ 102, 194
Selbständigen ist die Aufnahme einer Tätigkeit in abhängiger Stellung nicht generell unzumutbar. Es bedarf jedoch stets einer auf den Einzelfall abgestellten Wertung, ob mit der neuen Tätigkeit nicht ein spürbarer sozialer Abstieg ("und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht") verbunden ist, den der Versicherte nach § 2 Nr. 1 BB-BUZ nicht hinzunehmen braucht. Nicht der einzige, aber ein nicht zu vernachlässigender Bewertungsfaktor ist hierbei die Verdienstmöglichkeit.
Verweisung nach Anerkenntnis
BGH, Urt. v. 17.9.1986 - IVa ZR 252/84, r+s 1987, 55 = VersR 1986, 1113
Kam nach dem Kenntnisstand des Versicherers überhaupt nur die Anerkennung einer vorläufigen Berufsunfähigkeit des Versicherten in Betracht, so hindert deren Anerkennung den Versicherer nicht, in dem Zeitpunkt, in dem er erstmals davon erfährt, daß nunmehr nur noch dauernde Berufsunfähigkeit des Versicherten in Betracht kommen kann, diesen auf die Möglichkeit zu verweisen, einen den Versicherungsbedingungen entsprechenden Vergleichsberuf auszuüben.
Grundsätze der Verweisung
BGH, Urt. v. 17.9.1986 - IVa ZR 252/84, r+s 1987, 55 = VersR 1986, 1113
- Die letzte berufliche Tätigkeit des Versicherten wirkt prägend für die zu be-rücksichtigende Lebensstellung des Versicherten. Deren (Mit)-Berücksichtigung schließt es aus, Berufe als Vergleichsberufe im Sinne des § 2 BB-BUZ heranzuziehen, die mit einem spürbaren wirtschaften und/oder sozialen Abstieg der Versicherten verbunden wären. Sie stellt zudem die nach Wesen und Zweck der BU-Versicherung, die nicht Erwerbsunfähigkeitsversi-cherung ist, unerlässliche Ergänzung dazu dar, dass der Vergleichsberuf nur die Ausübung von Tätigkeiten erfordert, die aufgrund von Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden können.
- Die gebotene Berücksichtigung der bisherigen Lebensstellung des Versicher-ten sondert Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringe Erfahrungen und Fähigkeiten erfordern, als der bisherige Beruf, die Lebensstellung eines Erwerbstätigen wird von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit beeinflusst und diese orientiert sich – ebenso wie die Vergütung dieser Tätigkeit – wiede-rum daran, welche Kenntnisse und Fähigkeiten die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung dieser Tätigkeit voraussetzt.
- Die Berufsunfähigkeitsversicherung garantiert weder ein unveränderliches Einkommens- und Wohnniveau noch eine in allen Beziehungen dem bisheri-gen Beruf entsprechende Erwerbstätigkeit. Da der Versicherungsnehmer nach den BBUZ auf die Ausübung von Vergleichsberufen verwiesen werden kann, müssen gewisse Umstellungen hingenommen werden.
Arbeitsmarktlage
BGH, Entscheidung vom 19.11.1985 - IV a ZR 23/84, VersR 1986, 278 = NJW-RR 1986, 451
Bei der Feststellung, ob eine Berufsunfähigkeit vorliegt, muß die Lage auf dem Arbeitsmarkt unberücksichtigt bleiben (Abgrenzung zu BGH vom 4.4.1984 - IV a ZR 17/83 = VersR 1984, 576).